Blog Archiv 2016 - von Andrea Schmölzer
Handgemachte Wadelstrümpfe aus Wallgau
Christine Gergs blaue Augen blitzen durchaus ein bissl angriffslustig, vor allem aber begeistert, wenn sie von Tradition und Tracht spricht. Sie strickt viel, am liebsten Wadelstrümpfe; „Haislan“ sagt man hier in Wallgau . Also alles mausgrau-tannengrün mit braven Zöpfen?… – Weit gefehlt!

Ihre „Haislan“ leuchten in frischem Grün oder Blau, manche haben Wellenlinien, andere stilisierte Blümchen drauf oder lassen Haut durch Ajourmuster blitzen. So mancher Trachtler quittiert das mit einem verwunderten: „Um Gottes Willen – geht der Maschkera?“ und spielt damit auf die Faschingsfiguren in der Alpenwelt Karwendel an.
Was nach Rebellion klingt, ist eigentlich Mut. Mut zum Wiederentdecken, zum Spielen mit alten Traditionen, neu Verpacken. Die taffe Frau mit Bergsport-Bräune im Gesicht und kurzem grauem Haarschopf bringt es energisch auf den Punkt: “Ich bin so boarisch wie’s boarischer net sein kann, bloß ohne Scheuklappen“.
Jeder Wadelstrumpf ist ein Stück Selbstbewusstsein aber auch ein Beweis, wie viel diese Frau handwerklich draufhat: schwierigste Muster, gekonnte Bordüren – dazu ein Händchen für großartige Farbkombinationen. Die handgefärbte Wolle alleine ist eine Augenweide. „Man muss sich was trauen“, glaubt man Christine Gerg aufs Wort.

Schon in ihrem gelernten Beruf als Floristin, lebte sie ihren Drang aus, mit Vorhandenem Neues, Besonderes zu schaffen. Als sie dann bei einer Modenschau des Trachteninformationszentrums in München – der quasi höchsten Instanz für authentische Tracht– mitarbeitete, fiel der Groschen:
Früher habe man oft Muster und Farben variiert, Woll- und Stoffreste verwendet. „Individualität pur“, schwärmt Gerg und verweist auf alte Trachtenbücher und die weinroten Haferlschuhe ihres Großvaters. Tracht sei halt keine Uniform!
Hey, da ist es wieder, das angriffslustige Blitzen in ihren Augen. „Früher gab’s auch Wadelstrümpfe für Frauen“, erzählt Christine Gerg. „Röcklinge“ nennt sie die Kunstwerke in tollen Farbenkombis und Mustern. „Ich kann mir gut vorstellen, dass modemutige Madeln die zu Rock und Ballerinas tragen.“ Als Drittklässlerin begann die gebürtige Mittenwalderin zu stricken, ihr Erstlingswerk: ein Trachtenjäckchen aus altrosa Wolle von der Patentante. Heute fertigt die Mutter zweier Söhne Wadelstrümpfe für selbstbewusste Trachtler, einfach weil’s ihr Spaß macht. 40 bis 50 Stunden strickt sie an so manchem Paar.

Und der Preis? – Bezahlbar! „Der beste Lohn ist, wenn es guad ausschaugt und die Leute schätzen, dass sie was Besonderes haben“, meint Gerg. So wie der fesche Krüner, der Haislan von ihr trage. Zündende Ideen für ihre Unikate hat Gerg oft draußen in der Natur: Auf der morgendlichen Radelrunde am “Milligraben“ etwa kam ihr DIE Lösung für Längsstreifen: aus grün-melierter Wolle quer stricken. Einige ihrer Maschen entstehen sogar in frischer Bergluft, vor allem im Dammkar . Die landschaftlich reizvolle Skiroute bei Mittenwald ist schließlich ihre Leidenschaft. Gern steigt sie dort das Viererkar hinauf. „Mein Strickzeug hab‘ ich oft dabei und strick‘ am Gipfel a halbe Stund.“ Die Natur der Alpenwelt Karwendel liefere jede Menge Inspiration. Christine Gerg zeigt auf das Geschirr mit Enzianschmuck am Eingang und sagt nachdenklich: „Jetzt sind unsere Wiesen bald wieder blau.“ Mal sehen, welche Haislan das gibt.

Wadlstrümpfe
Ihr Ursprung ist umstritten: Billiger Schuh-Ersatz, kräftigeres Aufbrezeln der Wadeln, Verbergen von damals verpönter nackter Haut oder Kostenbewusstsein, weil der Fußteil schneller durchscheuerte? Egal, verzierte Wadenstrümpfe, „Haislan“, „Pfosen“ oder „Loferl“ genannt, sind ein Hingucker und verraten die Herkunft – und wohl auch das Selbstbewusstsein – ihres Trägers.