Blog Archiv 2018 - von Andrea Schmölzer
Wildfütterung im Karwendel
Eigentlich ist Rotwild seeeehr scheu. Doch jetzt stehen mitten in der Natur an die 90 Tiere direkt vor mir! Hirsche mit mächtigem Geweih, dazwischen Hirschkühe und ihre Kälber. Die Wildfütterung macht’s möglich. – Ich darf dem Jäger und Heger dabei über die Schulter schauen. Ein schön stilles Naturschauspiel!
Rund 90 Hirsche, Hirschkühe und -kälber schauen zu mir her. Sie haben mich sicher schon gewittert, lange bevor ich im letzten Sonnenlicht die Futterstelle in einer Waldlichtung erreiche. Eigentlich ist der Weg kurz nach der Auhütte unterhalb des Soierngebirges Sperrgebiet. Nur mit der begleiteten Wanderung zur Wildfütterung der Alpenwelt Karwendel darf man hierher.
An der großen Scheune riecht es nach Heu und Gras-Silage, dahinter dann leicht säuerlich. „Das ist Apfeltrester“, erzählt Karl Hörmann. Der Jäger des Forstbetriebs Bad Tölz füttert das Wild im Winter täglich; morgens und eben jetzt, kurz bevor der Abend dämmert. Trester gilt beim Rotwild als Leckerei, das erst im Spätwinter aufgetischt wird. Die süß-säuerlichen Apfelreste sind dann eine verlockende Alternative zu Pflanzensprossen, die das Wild sonst anknabbern würden. So bleibt der Bergwald verschont.
„Schee g’mischt“, nennt Karl den Bestand seiner Schützlinge. Karl kennt sie alle: Die „Stuck“, also weibliche Alttiere, die „Schmal“, einjährige Hirschkühe, die er mit 20-jährigen Mädchen vergleicht, die Kälber mit ihren zierlichen Köpfen und Knopfaugen und natürlich die Hirsche aller Altersklassen. Manche nennt Karl sogar beim Namen, wie „Pauli“, den Alten, der besonders nah zur Scheune herankommt.
Karls kräftigen Hände heben den Hornschlitten an, zuerst verteilt er die Gras-Silage. Er zieht von Krippe zu Krippe, das Rotwild hinterher; die Hirsche meist – standesgemäß – als erste. Dann scharen sich die anderen um die Krippen und Holzflächen, fressen entspannt. Ich höre das Klacken der Geweihe, die an den Futterstellen aufeinander treffen. Ein paar Krähen ziehen vorbei, ein Habicht schreit. Sonst ist es still. Immer wieder blicken die Tiere in meine Richtung, am Rand. Karl hingegen ist mitten unter ihnen. Der große Mann aus Wallgau ist ihnen offenbar vertraut.